Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade von Susanne Burzel: Aufruf Blogparade: Meine / Unsere Geschichte mit Hochbegabung. Nie hätte ich gedacht, dass ich mal zu diesem Thema etwas schreiben würde. Doch immer mehr Puzzleteile kommen zusammen und ergeben ein Bild.
Meine Schulzeit
Kürzlich besuchte ich meine Eltern in Deutschland und sprach mit ihnen über meinen siebenjährigen Sohn und seine Intelligenz- und ADHS-Testung. Diese hatte eine überdurchschnittliche Intelligenz und ein positives Testergebnis für ADHS ergeben. Meine Mutter erwähnte beiläufig, dass ich ja mal in meiner Grundschulzeit an einem IQ-Test teilgenommen hätte; mit einem Ergebnis von 130. Ich war verwirrt. Zum einen konnte ich mich überhaupt nicht daran erinnern, zum anderen musste ich mich dann umso deutlicher fragen, wieso meine Grundschullehrerin mich denn dann für die Realschule empfohlen hatte? Ich selbst habe mich nie besonders intelligent gefühlt. Ich war immer sehr interessiert am Lernen, das flüssige Lesen und auch die Rechtschreibung gingen mir leicht von der Hand, doch in der Mathematik hatte ich richtige Blockaden. Ich benötigte für Rechenaufgaben sehr viel Zeit und tat mir schwer mit der räumlichen Vorstellungskraft. Dies zeigte sich auch im Sport. Einmal wurde ich gefragt, ob ich denn eine Brille bräuchte, als ich den Ball mal wieder nicht fangen konnte. Ich war immer sehr verträumt, dachte schon früh über existenzielle Fragen nach und konnte bereits als kleines Kind schon schwierige Wörter richtig sprechen. Viele Freunde hatte ich nie. Ich schien selten mit anderen Kindern auf einer Wellenlänge zu sein.
Im Kunstunterricht wurde mein Zeichentalent bewundert, meine Noten waren meist gut, jedoch selten sehr gut, da mir die mündliche Mitarbeit nicht so lag. Ich wollte immer die perfekte Antwort haben, und wenn die nicht kam, schwieg ich lieber. Ich war meist still und angepasst. Während längerer Erklärungen meiner Lehrer kritzelte ich kleine Zeichnungen an den Rand meiner Hefte.
Meine Deutschlehrerin meinte, ich könne ja auch bereits in der neunten Klasse schon auf das Gymnasium wechseln. Mein Mathelehrer meinte, ich würde niemals das Abitur schaffen und solle lieber eine Ausbildung machen. Doch ich hätte gar nicht gewusst welche.
Viele Interessen – viel Unsicherheit
Damals wollte ich Grundschullehrerin werden. Ich dachte, da könnte ich meine vielseitigen Interessen gut unterbringen und Kinder in ihrer Entwicklung am besten fördern. Mein Abitur schaffte ich ohne grössere Schwierigkeiten mit einem Schnitt von 2,7. Ich merkte, dass ich mit diesem Schnitt erst mal kein Grundschullehramt studieren konnte und studierte daher zunächst einmal Empirische Sprachwissenschaften. Das gefiel mir und so blieb ich dabei. Ich lernte ein neues Alphabet zu lesen und zu schreiben, nämlich das kyrillische. Dies war Teil meines Russisch-Unterrichts. Ich lernte zudem noch etwas Norwegisch und Isländisch. Die Phonetik gefiel mir auch sehr gut, zudem lernte ich interessante Fakten zur Kommunikation, wie z.B. die vier Seiten einer Nachricht. Ich liebte es schon immer, den Dingen auf den Grund zu gehen. Ich mochte auch den Philosophieunterricht auf der Oberstufe sehr. Das Buch «Sofies Welt» hat mich sehr bewegt. Ein anderes Buch, das mich sehr berührt hat, war ein Buch über Maria Montessori und die wundersamen Erfolge, die ihre Methoden bei als «schwachsinnig» geltenden Kindern bewirkt haben. Da wurde mir bewusst, was für einen riesigen Unterschied die richtige Förderung von Kindern machen kann.
Nach einem Auslandsaufenthalt in den USA wollte ich daher eine Erzieherausbildung machen und in einem bilingualen Kindergarten arbeiten, vielleicht selbst mal einen gründen.
Ich machte die Ausbildung, lernte meinen jetzigen Mann kennen und zog zu ihm in die Schweiz.
Meine Erfahrungen als Mutter
Ich arbeitete drei Jahre lang in einer Schweizer Kita und informierte mich sehr viel über mögliche Aus- und Weiterbildungen in dieser Zeit. Es ergab sich jedoch nicht das Richtige. Dann wurde ich schwanger und war erst mal zuhause. Die Umstellung, mit Kind zuhause zu sein war sehr gross für mich und die Enttäuschung über die Geburt, die nicht meinen Erwartungen entsprach, musste ich auch erst mal verarbeiten. Mein Sohn wuchs heran, wurde immer lebendiger und forderte mich immer mehr. Ich war ja ausgebildete Erzieherin und dachte daher ich sei gut vorbereitet – doch weit gefehlt. Ich wurde mit so vielen Fragen konfrontiert, für die ich keine Antwort wusste. Dann kam er in den Kindergarten, der hier in der Schweiz mit einer Vorschule gleichgestellt werden kann und ich sah mich bald mit Vorwürfen überhäuft, z.B. warum mein Sohn denn keine Regeln zu befolgen gelernt hätte. Er war schon immer ein kleiner Rebell, der genau wissen wollte, wieso und weshalb denn etwas jetzt so und so gemacht werden musste und nicht anders.
Ich fühlte mich einerseits wie eine schlechte Mutter, andererseits konnte ich ihn auch in manchen Dingen verstehen. Auch ich fand manche Praktiken im Kindergarten fraglich. Dann erfuhr ich von ADHS und erhielt das eingangs erwähnte Resultat. Im Internet stiess ich vermehrt auf das Thema hochbegabte Kinder und damit verbundene Schwierigkeiten. Manche seiner Verhaltensweisen lassen sich tatsächlich eher mit grosser Intelligenz und Sensibilität erklären als mit ADHS. Korrelieren ADHS und hohe Intelligenz bei ihm oder war ADHS etwa doch nur eine Fehldiagnose?
Ich werde sehr aufmerksam sein bei seiner weiteren Entwicklung und es beruhigt mich zu wissen, dass mit einem Umzug in einen anderen Kanton auch Homeschooling möglich wäre, wenn es mit der Schule gar nicht mehr gehen sollte. Momentan hat er sich damit abgefunden, dass er jeden Tag zur Schule muss, aber besonders gerne geht er nicht. Immerhin soll er bald an einer wöchentlichen Fördergruppe für begabte Kinder teilnehmen.
Meine heutigen Gedanken dazu
Bisher dachte ich immer, dass ich einfach hochsensibel sei. Darüber konnte ich aber mit niemandem wirklich reden, weil das kein allgemein anerkannter Begriff ist. Nun erkenne ich mich auch in der ADHS- und der Hochbegabtensymptomatik wieder und bin ganz erstaunt. Rückblickend sehe ich einige der Kinder, die ich während meiner Zeit als Pädagogin betreut habe, auch mit ganz anderen Augen und wünsche mir wirklich sehr, dass diesem Thema in Zukunft noch viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Realisation von so viel ungenutztem und verkanntem Potenzial bei so vielen Kindern und Erwachsenen bewegt mich sehr. Ich frage mich auch selbst, wie anders mein Leben möglicherweise verlaufen wäre, wenn mein Umfeld und ich meine Begabungen besser verstanden hätten. Ich werde mich sicher noch mehr mit diesem Thema auseinandersetzen und einen Test machen.
An dieser Stelle möchte ich meinen Dank an Susanne Burzel aussprechen, dass sie hier für Aufklärung sorgt. Sehr interessant und erwähnenswert finde ich an dieser Stelle auch die Arbeit von Dr. Theresia Maria, die nochmal ganz andere Begriffe für besondere Kinder (nämlich Herzenskinder) findet und spezielle Methoden, um sie zu stärken.
Liebe Julia,
ich danke dir für deinen persönlichen und sensiblen Artikel zu diesem Thema und zu meiner Blogparade. Vieles wird mit dem Schreiben klar und anderes durch die Geburt der Kinder. Viele Dinge aus dem eigenen Leben erklären sich dann im Nachhinein, was zu spät sein mag, aber womit man dann seinen Frieden schließen kann. Vermeintliche Nachteile werden plötzlich zu Potenzialen. Das zu erkennen ist wundervoll! Und irgendwie schließt sich der Kreis, als du von dem Test in der Grundschule erzählst und von dem späteren Weg mit deinen Kindern.
Ich wünsche euch und vor allem für deine Kinder alles Gute und Liebe!
Susanne
Liebe Susanne,
vielen Dank für deine Inspiration. Ich werde mich definitiv noch weiter mit dem Thema beschäftigen.
Ganz liebe Grüsse,
Julia